Von der Herberge zum modernen Forschungsstandort

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Seit 1967 besitzt die ETH Zürich unterhalb des Albulapasses die Forschungsstation Alp Weissenstein, deren Weiden auf einer Höhe von 1900 bis 2600 m ü.M. liegen. Nun wurden die Gebäude umfassend renoviert.  

von Sophie Graf

Was einst ein Gasthaus war, ist heute ein moderner Forschungsstandort: Idyllisch im oberen Albulatal gelegen, steht die historische Herberge Alp Weissenstein. Bis ins ausgehende 19. Jahrhundert war sie die einzige Raststätte für Reisende auf dem Weg ins Engadin. Seit der Eröffnung des Albulatunnels im Jahre 1903 haben sich jedoch die Reiserouten verändert und das einstige Gasthaus ist heute das Hauptgebäude einer ETH-Forschungsstation. Mit einer Alpfläche von 234 ha Eigenland und 200 ha Pachtland bietet sie Sömmerungsmöglichkeiten für zirka 150 Grossvieheinheiten  − Milchkühe, Mutterkühe, Jungvieh, Schafe und Pferde − während 75 bis 80 Tagen. Die Betriebsgebäude umfassen neben Wohnraum für Personal und Forschende Stallungen für den Fall eines Kälteeinbruches mit Schneefall und Futterbergeräume. Mit dem Umbau können Bilanzversuche mit Rindvieh im Stall durchgeführt werden und zur Probenaufbereitung werden Laboreinrichtungen genutzt. Mobile Einrichtungen wie fahrbarer Melkstand und Viehwaage ermöglichen es, Experimente auf der Weide durchzuführen.

Aktuelle Fragen der Nutztier-Forschung
In den letzten Jahren ist der Einfluss der biodiversen alpinen Vegetation auf die Qualität der Fleisch- und Milchprodukte intensiv untersucht worden. Die spezifischen Bedingungen auf der Alp haben einen grossen Einfluss auf die Tiere und somit auch auf die tierischen Produkte, sagt Joel Berard, Oberassistent der Gruppe Tierernährung und Teamleiter für nachhaltige Tierernährung, alpine Systeme und Lebensmittelqualität. Im Vergleich zur Talweide kann Alpweide den Anteil von ungesättigten Fettsäuren (vor allem Omega-3-Fettsäuren, aber auch Omega-6-Fettsäuren) in Fleisch, Milch und Milchprodukten markant erhöhen. So untersuchte die Gruppe Tierernährung auf der Alp Weissenstein unter anderem, welche Auswirkungen die sommerliche Betreuung des Viehs auf der Alp auf die Vegetation hat und welche Rolle die Topographie dabei spielt. Dabei standen nicht nur die Endprodukte, sondern auch das Bewegungs- und Fressverhalten der Tiere im Mittelpunkt.

Die Schweiz verfügt über Graslandstandorte mit einer hohen Biodiversität, die fast ausschliesslich durch Wiederkäuer genutzt werden können. Typisch an der Vegetation der Alpen ist unter anderem die hohe Konzentration an Polyphenolen, insbesondere Tanninen in den Futterpflanzen, welche den Abbau von Omega-3-Fettsäuren durch die Mikroben im Vormagen der Tiere verhindern und ihren effizienteren Transfer in die tierischen Produkte begünstigen.

Auch wenn Alpen keine Höchstleistung ermöglichen, sind sie eine wichtige Ressource für die Futterproduktion, aber auch für den Tourismus.  Aufgrund der aufwändigen Bewirtschaftung geben aber immer mehr Bauern ihre Alpweiden auf. So verbuschen in der Schweiz jedes Jahr mehr Flächen an wertvollem Weideland. Die Gruppe untersucht nun, ob es möglich ist, mit robusten und adaptierten Rinder-, Schaf- und Ziegenrassen die Verbuschung zu reduzieren und gleichzeitig hochwertigere tierische Produkte zu erzeugen.

Alpine Vegetation im Fokus
Die Lage der Forschungsstation eröffnet auch hervorragende Möglichkeiten zum Studium der hochalpinen Vegetation, welche auf unterschiedlichen Böden (Muttergestein) wächst. Für die Alpen charakteristisch ist zum Beispiel der reduzierte Luftdruck, die starke Sonneneinstrahlung, die heterogene Vegetation und die kurze Vegetationsperiode. Doch welchen Einfluss hat umgekehrt die Landwirtschaft auf das Klima?  Mit dieser Frage beschäftigt sich unter anderem Werner Eugster, Professor am Institut für Agrarwissenschaften und sein Team. Im Fokus stehen dabei Strategien, um Emissionen, die bei der landwirtschaftlichen Produktion anfallen, zu senken. Dies sind vor allem die Schadgase Methan, Ammoniak und Lachgas, aber auch das wichtigste Treibhausgas CO₂ .

Auf der Alp Weissenstein sind  Messstationen zur Erfassung von Klimadaten installiert. Die Messungen der CO₂-Aufnahme durch die Vegetation und die CO₂-Abgabe durch die Böden und Tiere werden unter anderem zur Modellierung von Ökobilanzen (CO₂-Footprints) sowie zur Abschätzung der jährlichen Treibhausgasbilanz benötigt.  „Seit es auf der Alp ausreichend Strom gibt, können wir CO₂ ganzjährig messen“, freut sich Werner Eugster. „Wir erreichen den Status eines im internationalen Vergleich modernen Forschungsstandorts“. In der Vergangenheit wurden unter anderem Experimente mit Vegetation unter Regenausschluss (simulierte Trockenheit) gemacht. In einem langjährigen Ansatz werden ausserdem die Spurengasemissionen aus dem Grasland über den Jahresverlauf verfolgt.

Talgut, Maiensäss und Alp
Die Alp Weissenstein ist in ein Konzept von drei Forschungsbetrieben der ETH eingebettet, zusammen mit dem Betrieb von Agrovet-Strickhof, der 2017 seinen Betrieb in Eschikon-Lindau aufnehmen wird und der Forschungsstation Früebüel auf dem Walchwilerberg auf rund 1000 m ü. M. Mit drei Betrieben auf drei Höhenstufen, nämlich der Talstufe in Eschikon-Lindau, der Bergstufe auf dem Früebüel und der Alpstufe auf der Alp Weissenstein, wird die traditionelle alpine Dreistufenwirtschaft in die Forschung einbezogen. Dies ist einmalig – und für die Grundlagenforschung mit den heutigen Fragstellungen sehr nützlich.

Agrovet Strickhof – ein Ort der Synergie

Das Projekt Agrovet-Strickhof verfolgt die Zusammenarbeit in Forschung und Lehre der ETH mit der Universität Zürich und der landwirtschaftlichen Schule Strickhof. Auf dem rund 70 ha grossen Gelände wird Infrastruktur aufgebaut, um die landwirtschaftlichen Aktivitäten auf Talstufe, inklusive Forschung, Bildung und Lehre, am Strickhof in Eschikon-Lindau im Kanton Zürich zu konzentrieren. Nach Erstellen der Gebäude am Strickhof im Jahre 2017 wird die ETH Zürich den Betrieb Chamau (Kanton Zug) aufgeben. Wegen der Intensivierung der Forschung und der Zusammenarbeit der drei Institutionen wird neben den Investitionen am Strickhof auch die Infrastruktur auf dem Früebüel und auf der Alp Weissenstein auf die neuen Bedürfnisse ausgerichtet.

externe Seitewww.agrovet-strickhof.ch

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